Hauptstadt Jerewan
Die Stadt Jerewan zählt zu den ältesten Städten der Welt, ist dem Alter Babylons, Roms, Karthagos und Samarkands gleichzusetzen. Über die Entstehung der Stadt Jerewan besteht eine Legende, die mit dem Namen des biblischen Patriarchen, des Stammvaters des neuen Menschengeschlechts, Noah, verbunden ist.
Nach der biblischen Legende landete die Arche, in der sich Noah uns eine Familie befanden, während der Sintflut auf dem Gipfel des Berges Ararat. Nach vierzig Tagen ließ Noah einen Raben steigen, der bald darauf in die Arche zurückkehrte. Nach weiteren sieben Tagen ließ er eine Taube steigen. Diese kehrte mit einem Olivenzweig im Schnabel zurück. Sieben Tage später ließ Noah die Taube erneut fliegen. Sie kehrte nicht wieder. Daraufhin rief Noah aus: „Jerewaz“! (das bedeutet „sie ist erschienen, d.h. die Erde war zum Vorschein gekommen). Der Sage nach stammt von dem Wort „Jerewaz“ auch das Wort „Jerewan“ ab.
Und was sagen die Archäologen? Es zeigt sich, dass es ihnen gelungen war, 1950 bei den Ausgrabungen des Hügels Arinberd (im südöstlichen Teil Jerewans) die „Geburtsurkunde“ der Stadt Jerewan zu entdecken, die in Keilschrift auf einem Basaltstein eingemeißelt war.
Die Inschrift lautete:
„Zum Ruhme des Gottes Chaldi erbaute Argischti, der Sohn von Menua, diese mächtige Festung, gab ihr den Namen Erebuni für die Macht des Landes Biaini und zur Abschreckung feindlich gesinnter Länder“.
Wie die archäologischen Untersuchungen zeigten, wurde die Stadtfestung Erebuni (Jerewan) durch den urartäischen König Argischti I. im fünften Jahr der Herrschaft im Jahre 782 v. Chr. gegründet; die ersten Ansiedlungen auf dem Gebiet des heutigen Jerewans aber entstanden bereits im VI. – III. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Die gewaltige und uneinnehmbare Festung Erebuni war die für die damalige Zeit größte strategische Zitadelle an den nördlichen Grenzen des Staates Urartu. Sie hatte eine große Militärbesatzung und war von mächtigen Festungsmauern umgeben, die dreifach angelegt worden waren. In der Festung befanden sich das Schloss für den König Argischti I. mit großen Säulen und weiten Sälen, deren Wände mit reicher Wandmalerei kultischer und weltlicher Bestimmung bedeckt waren, Tempel, von denen einer dem höchsten Gott, Chaldi, geweiht war, Getreidelager, eine Wasserleitung und andere Bauten. Bei den Ausgrabungen wurde eine große Anzahl von Bronze- und Eisengeräten, von Tongeschirr, Waffen und Schmuck, sowie von Kunstgegenständen urartäischer Meister gefunden, was von einer wunderbaren Bautechnik und einer hoch entwickelten Wirtschaft der Urartäer zeugt.
Nach dem Willen des Schicksals unter der Erde begraben, den Blicken der Menschen Jahrhunderte lang verborgen, tauchte die Festungszitadelle Erebuni wieder imposant vor uns auf. Unmöglich ist all das aufzuzählen, was das Innere des Hügels Arinberd so besorgt verborgen hatte.
Heute aber kann man all dies in dem hierfür geschaffenen Museum „Erebuni“ bewundern.
Dank seiner geographischen Lage in dem reichen Tal des Ararats, befand sich Jerewan immer im Zentrum der Handelswege zwischen Osten und Westen. Das Schicksal Jerewans war untrennbar verbunden mit dem Schicksal des armenischen Volkes und mit der Geschichte Armeniens.
Das armenische Volk übernahm nicht nur die reiche Kultur, sondern auch die architektonischen und baulichen Traditionen der Urartäer. Das heutige architektonische Ensemble Jerewans verleiht der Stadt einen einzigartigen Charakter und Stil.
Jerewan ist gleichsam in das grandiose Panorama der Araratebene eingefügt, die von dem Kegel des Großen Ararat und des Kleinen Ararat gekrönt wird. Besonders imposant ist der graue Ararat am frühen Morgen, wenn ihn die golden schimmernden Strahlen der Sonne beleuchten. Es entsteht der Eindruck, dass zwei riesenhafte Brüder mit ihren ausgebreiteten gewaltigen Flügelhänden liebevoll die noch schlafende Stadt beschützen. Der bedeutende armenische Architekt Tamanjan und seine Schüler schufen die einmalige äußere Gestalt der Stadt. Vielfarbiger Stein in seiner ganzen Pracht herrscht in der Architektur Jerewans vor. Hier sind alle Farben des Regenbogens versammelt: aus violetten, rosa- und orangefarbenen, rötlich gefärbten und weißen Tuffsteinen und aus grauem Basalt sind Wohnhäuser, Gebäude des öffentlichen Lebens, Kirchen, Theater und Museen errichtet worden.
Wenn die Architektur das Antlitz einer Stadt ist, so sind die Museen ihre Seele. In Jerewan gibt es eine Vielzahl von Museen, Denkmälern und Parks mit einzigartigen Skulpturen und Einzelgedenkstätten.
Das Historische Museum
Es befindet sich im Herzen der Hauptstadt am Platz der Republik und verfügt über Exponate angefangen von der Steinzeit und den ersten Siedlungsstätten des Menschen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Ausgestellt sind einzigartige Denkmäler der materiellen Kultur von der Urzeit an. Waffen aus der Steinzeit, Gegenstände aus Bronze und Eisen, Waffen aus der Regierungszeit der Urarten, kleine Figuren, Krüge, Münzen und kostbarer Schmuck, welcher bei Ausgrabungen in Armenien gefunden wurde. In der Abteilung Ethnographie sind Nationaltrachten, Teppiche, Amulette und landwirtschaftliche Geräte zu sehen. In aller Vielfalt ist die Architektur des Mittelalters und die städtische Kultur der alten Hauptstädte Armenien – Artaschat, Dwin und Ani - vertreten.
Die Nationalgalerie (Gemäldegalerie)
In den Sälen der Nationalgalerie befinden sich Exponate der bildenden Kunst armenischer, russischer und westeuropäischer Künstler. Zu den Beständen der Galerie gehören über 20 000 Werke der Malerei, Bildhauerei und Grafik.
Die Abteilung armenische Malerei (die umfangreichste der Galerie) beginnt mit dem 7. Jh. und endet mit der Gegenwart. Die ältesten Exponate sind Kirchenfresken aus dem Dorf Arug und aus der Kirche Lmbat. Die Wandgemälde aus der Kathedrale von Ani, aus den Klöstern Achpat, Tatew und Achtalin stammen aus dem 10. – 14. Jh. Im Fundus werden originalgetreue Kopien dieser Fresken, überdies Miniaturillustrationen altarmenischer Handschriften aufbewahrt. Die armenische Abteilung besitzt weltweit die größte Sammlung armenischer Gemälde.
Den Schwerpunkt der armenischen Abteilung bildet die weltliche Malerei des 17. – 19. Jh., darunter Werke der im Iran ansässigen Malerfamilie Hownatanjan (17./18. Jh.) sowie des armenischstämmigen spätromantischen Marinemalers Iwan Ajwakowski (1817-1900) dessen Hauptwerk in Jerewan fast vollständig vertreten ist. Von den zahlreichen namhaften Malern des 20. Jh. sei hier vor allem auf Martiros Sarjan (1880-1972) und Minas Awetisjan (1928-1975) hingewiesen, die in der Farbgestaltung ihrer Landschaftsbilder, Stillleben und Porträts einen modernen, zugleich aber auch an den Traditionen der altarmenischen Buchmalerei orientierten Nationalstil mit leuchtend-expressiven Farben, klarer Linienführung und einer expressionistisch vereinfachenden Flächigkeit entwickelten.
Die traditionelle armenische Malerei ist im 20. Jahrhundert durch das Werk des Malers Martiros Sarjan beeinflusst worden. Zu den bekanntesten Künstlern der letzten Jahrzehnte zählen die Maler Minas Avetisjan („Minas“), Hakop Hakopjan und Grigor Chandschjan.
Die armenische bildende Kunst zeichnete sich schon immer durch eine große Vielfalt der Stile und Richtungen, Empfänglichkeit für die neuesten Trends in der Weltkunst und kühne Suche nach adäquaten Ausdrucksmitteln aus.
Matenadaran
Auf eine Anhöhe erhebt sich ein eindrucksvoller grauer Basaltbau: Das Matenadaran.
Imposante Stufen führen zum Denkmal des Begründers der armenischen Schrift, Mesrop Maschthos (396). Der Gelehrte hat eine Hand erhoben, er weist seinem ersten Schüler, der denkbar vor dem Lehrer kniet, den Weg zum Lesen und Schreiben, also zum Wissen. In die Mauer hinter dem Denkmal sind die Buchstaben des armenischen Alphabets eingelassen.
Das Matenadaran (altarmenisch bedeutet diese Bezeichnung Bibliothek) ist ein bedeutendes wissenschaftliches Zentrum für die Erforschung und Erhaltung von Denkmälern des nationalen Schrifttums.
In der Antike und im Mittelalter wurden Handschriften in Armenien sorgsam gehütet, sie spielten eine große Rolle im Kampf des Volkes gegen geistige Versklavung und Assimilation. Große Klöster und Universitäten besaßen sogenannte Skriptorien (Schreibwerkstätten), wo Kalligraphen Bücher armenischer Gelehrter und Schriftsteller oder Werke fremdländischer Verfasser, die ins Armenische übersetzt worden waren, abschrieben. Der Matenadaran birgt die kostbarsten geistigen Schätze des armenischen Volkes: etwa 15.000 alte Bücher und Fragmente sowie eine Archivabteilung mit mehr als 100.000 Dokumenten des 14.-20. Jh. Trotz des Fleißes der mittelalterlichen Kalligraphen und Kopisten blieb infolge des gewalttätigen Schicksals Armeniens nur ein geringer Teil seiner Handschriften erhalten.
Allein im Jahre 1170 verbrannten Eroberer mehr als 10.000 alte Handschriften in der armenischen Festung Balaberd, wohin man sie aus verschiedenen Klöstern verbracht hatte. Von den etwa 25.000 bis heute erhaltenen armenischen Handschriften besitzt die Jerewaner Sammlung 10.700 Folianten und 2.500 Fragmente.
Es handelt sich um kirchliche und weltliche Texte sämtlicher Wissensgebiete, ferner um Übersetzungen antiker und mittelalterlicher Autoren, deren Originalfassungen teilweise verloren gingen und die nur anhand der altarmenischen Übersetzung überliefert sind (darunter Werke des Aristoteles, Eusebios von Cäsarea, Zenon, Johannes Chrysostomos u.a.).
Der Matenadaran dient in erster Linie Archiv- und Forschungsaufgaben. Für Besucher ist ein Ausstellungssaal mit einigen der wertvollsten, schönsten und interessantesten Handschriften, Drucke und Dokumenten zugänglich. Die ältesten Fragmente der Sammlung stammen aus dem 5. -8. Jh.; das erste vollständige Buch, das auf Pergament geschriebene Lasarew-Evangeliar, entstand 887 und die älteste Handschrift auf Papier im Jahr 981; in Europa benutzte man dagegen Papier erst ab Mitte des 12. Jh.
Die Sammlung des Matenadaran baut auf der 1920 verstaatlichten Klosterbibliothek von Etschmiadsin auf, die ihrerseits auf das 5. Jh. zurückgeht. Offenbar hatte Etschmiadsin unter den armenischen Klosterbibliotheken schon früh eine führende Stellung als eine Art „Sammelbibliothek“ inne, deren Bestände daher besonders reich waren. Heute gilt es vielen Auslandsarmeniern als hohe patriotische Pflicht und Ehre, dem Matenadaran alte Handschriften und Bücher zu überlassen.
Akademisches Opern- und Ballett-Theater „A. Spendiarjan“
Es ist eines der attraktivsten modernen Bauten in Jerewan. Der Architekt Tamanjan fand eine originelle kompositorische Lösung. Er brachte in einem Raum zwei Zuschauersäle unter.
Der Opernsaal hat 1.260 Plätze und der Konzertsaal 1.400, letzteren baute Tamanjans Sohn Georgi Tamanjan, der nach dem Tod des Vaters den Bau zu Ende führte. Beide Säle haben die Form eines Amphitheaters und ausgezeichnete Akustik. A. Tamanjan erhielt 1936 auf der Pariser Weltausstellung eine Goldmedaille.
Das Operntheater (erste Aufführung Ende 1932) hat Werke der armenischen und der Weltklassik sowie auch zeitgenössischer in- und ausländischer Komponisten im Spielplan.
Zu den besten Inszenierungen zählen Bühnenadaptionen mehrerer nationaler Opern zu Geschichtsthemen, darunter die erste armenische Oper „Arschak II.“, 1868 von Tschuchadshjan komponiert. Den Inhalt bilden Ereignisse aus dem 4. Jh. als das von Byzanz und Persien aufgeteilte Armenien einen harten Kampf für seine Unabhängigkeit führte.
Musik und Dichtung gehören zusammen. Deutlich ablesbar ist das am Werk Sajat-Nowas, dem genialen Aschugen (Volkssänger und Dichter), der im 18. Jh. lebte, in Tbilissi in armenischer, georgischer und aserbaidschanischer Sprache seine Werke schuf. Das Sajat-Nowa Denkmal aus weißem Marmor, eine ungewöhnliche Konstruktion aus quadratischen Platten mit seiner Büste, befindet sich in einer kleinen Grünanlage in der Sajat-Nowa-Straße.
Beeindruckend ist auch das Denkmal für den Architekten Alexander Tamanjan (Bildhauer Howssepjan), das ihn über einen Tisch gebeugt zeigt, auf dem der Bebauungsplan von Jerewan liegt. Das Tamanjan-Denkmal gehört zu den wenigen in der Welt, die für einen Architekten errichtet wurden.
Hinter einer kleinen Grünanlage befindet sich das Jerewaner Komitas-Konservatorium. Diese Hochschule, 1923 gegründet, bildet Komponisten, Dirigenten, Instrumentalisten, Vokalisten, Chorleiter und Musikwissenschaftler aus. Es ist der Stolz der armenischen Musikkultur heute.
Jerewan, so heißt es, sei wie Rom auf sieben Hügeln errichtet. Einer von ihnen trägt den poetischen Namen Zizernakaberd. Auf dem Gipfel legte man 1967 das eindrucksvolle Mahnmal für die Opfer des Völkermordes von 1915 an. Die Gedenkstätte besteht aus zwei Teilen – unter den zum Zentrum hin wie Trauerweiden geneigten zwölf Basaltpylonen brennt das Ewige Feuer.
Irgendwoher, unter der Erde hervor, ertönt die Trauermelodie des großen Komponisten Komitas. Seitlich daneben, wie eine Wache, die das Denkmal der Toten schützt, ragt ein Obelisk aus Stahl mit gespaltener Spitze kühn zum Himmel empor, das Symbol der Wiedergeburt des geteilten armenischen Volkes, das Symbol seiner Zukunft.